Nachruf für Bärbel Heym
Aus der Trauerrede anlässlich der Trauerfeier der Kreistagsfraktion und des Kreisvorstandes am 11.07.2022 in Meißen, gehalten von Ulrich Keil, Vorsitzender der Kreistagsfraktion
Bärbel Heym hat am 22.05.2022 den Kampf gegen Ihre lange schwere Krankheit verloren.
Wir trauern um eine außergewöhnliche Frau, die ihr gesamtes Leben in den Dienst der Gesellschaft für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden gestellt hat.
Sie war, meine ich, zumindest in unserer Region eine bedeutende Person der Zeitgeschichte.
Wie war ihr Leben und Wirken?
Bärbel Heym wurde am 11.4.1950 in Gröditz geboren.
Gröditz war zu diesem Zeitpunkt noch ein Dorf mit Industrie. Das Stahlwerk war als Rüstungsbetrieb demontiert worden, die Maschinen und Anlagen als Reparationsleistungen in die Sowjetunion abtransportiert. Der Wiederaufbau hatte begonnen, aber die Kriegsfolgen waren noch allgegenwärtig. Es herrschte Lebensmittelrationierung. Deutschland war geteilt, die DDR gerade einmal ein halbes Jahr alt.
Für ihre Eltern Martha und Alfred Heym war sie das Nesthäkchen. Alfred Heym hatte aus erster Ehe 5 Kinder, deren Mutter früh verstorben war. Wegen des großen Altersunterschiedes gab es keine gemeinsame Kindheit der Halbgeschwister. Zu drei der Halbgeschwister konnte Bärbel Heym erst nach 1990 den Kontakt pflegen, da diese bereits Anfang der fünfziger Jahre in die BRD umzogen.
Bereits in früher Kindheit erkrankte Bärbel so schwer, dass sie Strahlenbehandlungen erdulden musste. Narben auf ihrem Rücken zeugten ein Leben lang von dieser Behandlung. Und diese Behandlung hatte weitreichende Konsequenzen für ihr Leben.
Die großen gesundheitlichen Probleme sollten Bärbel ein Leben lang begleiten. Diese Erfahrungen waren prägend für ihr Durchhaltevermögen und ihren unerschütterlichen Lebenswillen.
Zeitig wurde Bärbel von ihrem Vater auf ein Leben mit großer Verantworten vorbereitet. „Meinem Kind soll es einmal besser gehen“ war, wie bei vielen Eltern dieser Zeit, auch sein Lebensmotto. Sein Leben war von Krieg, Zerstörung und Entbehrung bestimmt gewesen. Das sollte seiner Bärbel nicht widerfahren.
Bärbel Heym hat diese Aufgabe angenommen und hart an sich gearbeitet. Ablenkungen durften da nicht stattfinden. Bärbel durfte keine kleinen Liebeleien erleben. Jungenbesuche im Hause Heym waren nicht angesagt.
Sie erlernte den Beruf einer Erzieherin. Schnell entschied sie sich für eine politische Laufbahn. Sie kümmerte sich als Kreispionierleiterin um die Kinder und später als erste Sekretärin der FDJ-Kreisleitung um die Jugendlichen.
Und schließlich bereitete sie sich auf die Übernahme staatlicher Aufgaben mit ihrem Studium der Gesellschaftswissenschaft vor. Nach Beendigung ihres Studiums, das sie als Diplomgesellschaftswissenschaftlerin 1983 abschloss, trat sie der SED bei. Im Jahr 1986 übernahm sie das Amt der Vorsitzenden des Rates des Kreises in Riesa, welches sie auch noch zur Wendezeit innehatte. Dieses Amt entspricht einem heutigen Landrat.
Sie hatte große Hoffnungen, dass 1986 mit den politischen Veränderungen in der Sowjetunion, bekannt als Glasnost und Perestroika, unter Michael Gorbatschow auch in der DDR Änderungen im politischen System erfolgen würden. Nach ihren eigenen Äußerungen platzten diese Hoffnungen aber bereits am 10.4.1987, als Kurt Hager in seinem Spiegelinterview äußerte „Würden Sie, wenn ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren“. Sie kam zu der „Erkenntnis, dass von dieser Führung keine Erneuerungen zu erwarten waren“.
Woher wissen wir das so genau? Nun von ihr selbst. Es gibt von 2013 die Ausarbeitung einer Abiturientin des Werner-Heisenberg-Gymnasiums mit dem Titel „Zeitzeugen sprechen 2012 über die Wendezeit 1989⁄90 in Riesa“ Ich habe mit der Autorin, Frau Marina Gottstein, gesprochen und von ihr die Erlaubnis eingeholt, aus ihrem Werk heute zitieren zu dürfen. Vielen Dank dafür an Marina. Neben Bärbel Heym hatte sie auch Andreas Näther in Vorbereitung dieser Ausarbeitung interviewt. Sie hat mir das 2‑stündige Originalinterview mit Bärbel zur Verfügung gestellt, so dass ich diese Aussage mit Bärbels eigenen Worten bestätigt bekommen habe.
Frau Gottstein beleuchtet die Ereignisse der Wendezeit, insbesondere auch das Wirken von Bärbel Heym im Oktober und November 1989. Bärbel Heym hatte sich entgegen ihren Anweisungen von oben mit Andreas Näther, dem Vertreter des Neuen Forums, getroffen und mit ihm das erste öffentliche Gespräch mit 2000 Riesaer Bürgern in der Gröbaer Kirche am 30.10.1989 durchgeführt. Obwohl sie dort verbal als Vertreterin der Staatsmacht angegriffen und ausgebuht wurde, hat sie den Mut bewiesen, sich den Fragen der Bürger zu stellen. Im Gegensatz zu anderen Funktionären hat sie sich nicht weggeduckt sondern Lösungen gesucht.
Im November 1989 wurde dann der Runde Tisch in Riesa ins Leben gerufen, an dem sie teilnahm. Sie hoffte damals, mit ihrem Wirken den Wandel zu einem besseren Sozialismus erreichen zu können. Wie wir wissen, kam es anders. Sie stellte sich die Frage: Hat sich der Kampf der Generationen vor uns gelohnt? Sie entschied für sich: Es musste weitergehen.
Im März 1990 waren Neuwahlen. Dazu ein Zitat aus dem Werk von Marina Gottstein:
„Sie selbst kandidierte für den Kreistag in Riesa … und bekam schließlich die meisten Stimmen von allen Kandidaten aller Parteien. Das wertet sie als Anerkennung ihrer geleisteten überzeugenden authentischen Arbeit in den letzten Jahren der DDR.“
Sie wurde Fraktionsvorsitzende der PDS im Riesaer Kreistag und hatte dieses Amt bis zu ihrem Tod im Kreistag Meißen inne. Sie hat die Fraktion 32 Jahre lang geführt.
Sie war im Verwaltungsrat der Sparkasse Meißen und hat sich dort für die kommunale Selbständigkeit der Sparkasse Meißen und gegen die Einverleibung in die Sachsen LB gestellt.
Sie war Mitglied im Aufsichtsrat und dem Präsidialausschuss der Elblandkliniken und hat sich nach den Turbulenzen für die Stabilisierung der Elblandkliniken mit klugen Personalentscheidungen und für den Verbleib in kommunalem Eigentum eingesetzt.
1990 ging sie zurück in ihren Beruf als Erzieherin. Fortan arbeitete sie im Kinderheim Strehla und kümmerte sich um die Betreuung und Entwicklung benachteiligter Kinder. Sie hatte neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nun wieder eine Aufgabe, die ihren vollen Einsatz forderte.
Allein dieser Werdegang zeigt auf, dass Bärbel ihr Dasein für das Wohlergehen der Menschen eingesetzt hat. Die Entwicklung der Gesellschaft war ihre Aufgabe.
In den Neunziger Jahren erkrankte Bärbel erneut an Krebs und war lange krank.
Trotz der Krankheit blieb sie Fraktionsvorsitzende der Kreistagsfraktion und wirkte im Ortsvorstand der Linken mit.
Nach dem Tod ihrer Mutter 1992, ihr Vater war bereits 1986 verstorben, waren ihre Schwester Brigitte und deren Familie der einzige Kontakt zu ihrer Familie. Diese halfen ihr auch im Jahr 2020 das Wohnzimmer noch einmal zu renovieren. Am meisten und mit leuchtenden Augen sprach sie von Charlie, dem Enkel ihrer Schwester. Die beiden hatten sich ins Herz geschlossen. Es war ihr stets wichtig, dem Kleinen eine Freude zu machen und es muss ihr auch immer gelungen sein. Aber ihre eigentliche Familie waren ihre Genossen.
Im April 2020 meldete sich der Krebs wieder zurück. Eine Operation, die sie möglicherweise an den Rollstuhl gebunden hätte, lehnte sie damals ab. Sie wollte ihr Leben selbstbestimmt weiterführen. Als sie im Februar 2021 in ihrer Wohnung stürzte und sich den Arm gebrochen hatte, brauchte sie Hilfe in ihrer häuslichen Umgebung. Vor allem die Riesaer Genossen haben sich um sie gekümmert, so dass sie in ihrer Wohnung weiterleben konnte.
Im April 2021 musste sie wieder ins Krankenhaus und sie entschied sich diesmal doch für eine Behandlung. Aber es war bereits zu spät. Infolge der Behandlungen wurde Bärbel schwächer. Sie selbst trug das mit Würde. Als wieder eine Kreistagssitzung anstand, wollte sie von einem Wegbleiben nichts wissen. Mit einer neuen Perücke, ihrem Hut, wie sie diese nannte, nahm sie ihre Aufgabe wahr. Selbst in dieser schwierigen Zeit war ihr der Humor nicht abhandengekommen.
Ein Aufheben um ihre Person wollte sie nicht, Sie wollte aber dabei sein und ihre Aufgaben erfüllen.
Auf ihrem Weg hatte sie Begleiter, die ihr Mitwirken lange möglich machten. Die Kreistagsfraktion hat sich in die Arbeit geteilt und die Termine abgesichert. Mit dem Wissen, wie wichtig Bärbel ihre Einbindung in die Arbeit war, haben wir alle diese Aufgaben wahrgenommen.
Ab Januar 2022 brauchte sie eine Rundumbetreuung, die die Riesaer Genossen allein nicht mehr bewältigen konnten. Sie musste nun doch ihre Wohnung verlassen und ins Pflegeheim einziehen.
Ihre letzte Geburtstagsfeier am 11.04.2022 musste leider wegen Corona ausfallen. Dennoch hatte sie liebe Gäste, die sie an diesem Tag im Pflegeheim besuchten.
Am 5.Mai 2022 hatte sie noch ein letztes Mal die Gelegenheit, bei einer Kreistagssitzung anwesend zu sein. Am 8.5., dem Tag der Befreiung, hatte sie ihren letzten öffentlichen Auftritt, bei dem auch das letzte Foto mit ihr entstand.
Nach einem Sturz am 21.5.2022 musste sie erneut ins Krankhaus, in die Elblandklinik in Riesa, wo sie am 22.5.2022 ihrem Krebsleiden erlag. Ein langer Leidensweg ging damit zu Ende.
Einen besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle Frau Janet Putz und Frau Dr. Gitta Frenzel aussprechen. Mit ihnen verband sie ein herzliches Verhältnis. Der letzte Blumengruß von Janet Putz kam bei Bärbel an dem Tag an, als sie ihren Kampf gegen den Krebs verloren hat.
Ein Dankeschön auch an Volker Thomas, Uta Knebel und Heiko Isopp, die sich regelmäßig um sie gekümmert haben und ihr ermöglichten, so lange wie möglich in ihrer Wohnung zu leben.
Ebenso ein Dankeschön an die Mitarbeiter des Pflege- und Betreuungszentrums Riesa, an die Mitarbeiter und die Geschäftsleitung der Elblandkliniken, an Herrn Dr. Rositzka, Herrn Dr. Assmann und die Frauenärztin Frau Schmidt.
Lassen wir noch einmal Marina Gottstein zu Wort kommen:
„Zum Schluss formulierte sie als Botschaft, dass das politische System in der DDR nicht in Ordnung war, dass das heutige aber auch nicht fehlerfrei sei. Es sei die Aufgabe der folgenden Generationen, auch meiner Generation, die bestehende demokratische Gesellschaft hin zu einer lebenswürdigen Gesellschaft weiterzuentwickeln.“
Meine Rede möchte ich mit dem Zitat eines Schriftstellers mit ukrainischen Wurzeln von 1936 beenden. In seinem autobiographischen Roman „Wie der Stahl gehärtet wurde“ schrieb Nikolai Ostrowski:
„Das Wertvollste, was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur einmal gegeben, und er muss es so nützen, dass ihn sinnlos verbrachte Jahre nicht qualvoll gereuen, die Schande einer kleinlichen, inhaltlosen Vergangenheit ihn nicht bedrückt und dass er sterbend sagen kann: Mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten in der Welt – dem Kampf für die Befreiung der Menschheit – geweiht. Und er muss sich beeilen, zu leben. Denn eine dumme Krankheit oder irgendein tragischer Zufall kann dem Leben jäh ein Ende setzen.“
Ukrich Keil
Fraktionsvorsitzender